3D-Druck in der Gipsformerei

Katja Kleiss im Gespräch mit Miguel Helfrich.

Die Gips­for­merei gehört zu den wenigen (und dabei führenden) Gips­for­me­reien der Welt. Wie kam es dazu, dass diese Berliner Insti­tu­tion sich so klar inter­na­tional posi­tio­nieren konnte?

Die Gips­for­merei ist über 200 Jahre alt. In dieser Zeit war es üblich, dass sich große Museen eigene Gips­for­me­reien betrieben. Das hatte wirt­schaft­liche Gründe – man wollte Dinge multi­pli­zieren – aber auch, um den Austausch der Objekte zu erleich­tern. Die Wert­schät­zung, die Replikas entge­gen­ge­bracht wurde, war unter­schied­lich. Das Neue Museum etwa wurde eigens für Abgüsse gebaut, während Humboldt der Meinung war, dass Abgüsse nicht ins Museum gehörten. Aufgrund der unter­schied­li­chen Wert­schät­zung haben in anderen Städten die Muse­ums­for­me­reien irgend­wann die Abgüsse abge­schafft. Die Abgüsse verloren an Bedeu­tung. Aber sie haben Bedeu­tung: Ein Abguss ist wie ein Zeit­zeuge, den wir als Gips­former zum Leben erwe­cken. Wir sind dieje­nigen, die dieses Hand­werk bis heute in seiner ganzen Breite erhalten haben.

Aus welchen Gründen?

In Berlin hat es nach dem Krieg keine Abguss-Samm­lung mehr gegeben. Sie wurde hier langsam aufge­baut, und daraus entstand eine große Wertschätzung.

 

Miguel Helf­rich

Welche anderen Gips­for­me­reien sind inter­na­tional relevant?

Das Pariser Louvre hat mehr Objekte als unsere Berliner Insti­tu­tion, das Louvre wurde ja auch früher gegründet. Die stra­te­gi­sche Rich­tung ist aller­dings eine andere, da geht es eher um kleine Objekte für Muse­ums­shops, die dort produ­ziert werden. Tja, wer kennt uns eigent­lich? Wir würden uns wünschen, dass die Berliner Bevöl­ke­rung uns mehr kennen würde, aber unsere Kunden sind insti­tu­tio­nelle Einrich­tungen, Museen…

Jeff Koons auch …

Oh ja, er hatte zuvor Kontakt zu Paris und Brüssel aufge­nommen. In Brüssel gibt es eine große Samm­lung, aber da wurde er mit einen hohen Ansprü­chen nicht fündig. Kopen­hagen hat keine Mitar­beiter mehr, nur die Samm­lung, London auch nicht mehr. So landete Jeff Koons schließ­lich bei uns.

Welche Rolle spielt euer großes Archiv? Ich habe mir sagen lassen, es sei enorm umfangreich. 

Mitt­ler­weile ist das so, dass wir die größte Archiv­samm­lung der Welt haben, weil wir die Objekte alle aufheben. Andere haben über 500 Objekte im Programm, bei uns eher 7000 plus.

Teil des Pergamon-Frieses in der Gipsformerei

Das ist schon ein deut­li­cher Unterschied.

Ja, wobei die Frage ist, was sich hinter der Zahl verbirgt. Wahr­schein­lich haben wir sogar mehr, weil es noch Sachen gibt, die wir nicht richtig erkundet haben, teil­weise sehr kleine Formen, in Finger­na­gel­größe… aber dann natür­lich auch wieder sehr große Objekte wie den Perga­mon­fries oder den Kurfürsten, bombas­ti­sche Sachen. Das ist nochmal eine andere Spezia­lität, die wir haben, der Schwer­punkt liegt auf Groß­auf­trägen, weil wir das beson­ders gut können.

Wie unter­scheidet sich die Qualität eines Gips­ab­gusses? Liegt der Unter­schied im Gips selbst, in der Produktion? 

Die Gips­arten spielen eine Rolle, ja, sind aber nicht die größte Heraus­for­de­rung. Die liegt darin, dass wir die rich­tige Balance in der Behand­lung unserer Formen finden. Unsere histo­ri­schen Formen sind ja einer­seits Muse­ums­ge­gen­stände, aber gleich­zeitig auch Produk­ti­ons­mittel. Bei jeder Benut­zung ist Verschleiß da, der möglichst gering gehalten werden muss. Das ist die Verant­wor­tung, die wir haben, damit auch in nach­fol­genden Produk­tion die Detail­ge­nau­ig­keit erhalten bleibt.

Was macht ihr, wenn ihr an den Punkt kommt, an dem die Form erneuert oder die Produk­tion gestoppt werden muss?

Wir haben mehrere Möglich­keiten. Entweder wir sperren die Form und benutzen sie gar nicht mehr, oder wir suchen nach anderen Möglich­keiten, sie wieder zu reak­ti­vieren. Das Problem ist, dass bei sehr kompli­zierten Formen früher Zusatz­stoffe wie Bienen­wachs beigemischt wurden, um sie flexi­bler zu machen, aber die Formen sind dann nach 150 Jahren nicht mehr so stabil.

Wer macht bei euch diese Formen?

Wir leben im Grunde von Formen, die vor 150 – 200 Jahren ange­kauft worden sind, oder die wir damals hier herge­stellt haben. Wir machen selbst nur Kern­stück­formen, aber nur ein paar im Jahr, um das Hand­werk nicht zu verlernen.

Zeit­ge­nös­si­sche Formen kommen von externen Auftraggebern?

Genau. Jeff Koons hatte extra Mate­rial aus New York geschickt, Hart­gips, das wir nicht in den Formen hätten verwenden können, weil sie kaputt gegangen wären. Daher haben wir neue Formen herge­stellt. Jeff Koons ist im Grunde wegen der Ober­flä­chen­güte zu uns gekommen, weil sie bei uns deut­lich besser ist als ande­ren­orts. Das wussten wir bis dato auch nicht.

Mit einem Spezi­al­scanner wird die Schadow Büste – „Neger Selim“ gescannt, um ein 3D-Modell erstellen zu können.

Gab es noch andere „Höchst­leis­tungs­pro­jekte“ aus der jüngsten Zeit?

Der große Kurfürst, der nach Mexiko gegangen ist. Der ist 4,20 Meter groß, als Bronze konzipiert.

Warum wollen die Mexi­kaner ausge­rechnet den großen Kurfürsten?

Inter­es­sante Frage. Er war nie in Spanien oder Mexiko und hat keine entspre­chende Verbin­dung dorthin. Das Museo Inter­na­cional de Barrocco in Puebla wollte, so habe ich das verstanden, einfach eine beson­dere Skulptur. Sie haben auch den Graf von Schweden mit wehenden Fahnen. Das ist ein modernes, visuell und digital ausge­rich­tetes Museum, sie wollten wahr­schein­lich einige groß­ar­tige Skulp­turen haben. Für uns war es jeden­falls eine große Heraus­for­de­rung, ihn dort unbe­schä­digt anzu­lie­fern, er war zu groß, man musste ihn in drei Teile teilen, dort so aufbauen, dass keiner der Besu­cher während der laufenden Ausstel­lung sieht.

Welche neuen Tech­no­lo­gien helfen?

Wir arbeiten wir vor 150 Jahren. Aber die Frage, wie die Gips­for­merei 4.0 aussieht, kriegen wir oft gestellt. Man kann relativ einfach darauf antworten: unser Schatz sind die erhal­tenen histo­ri­schen Formen. Das ist eine analoge Spei­che­rung entspre­chender Vorlagen. Die Digi­ta­li­sie­rung bringt eine zusätz­liche Technik, die ihre ganz spezi­fi­schen Vorteile hat, um berüh­rungs­frei an Vorlagen heranzugehen.

Da könntet ihr mit eurem Fokus natür­lich Inno­va­ti­ons­treiber sein. Was wäre der Nutzen für die Gipsformerei?

Es ist eine Frage der Zeit, bis diese Technik ihre volle Kraft ausspielt. Wie können wir das Hand­werk­liche in das Digi­tale über­tragen? Ich bin der festen Über­zeu­gung, dass das hand­werk­liche Wissen und Können, die analogen Perspek­tiven, ins Digi­tale trans­for­mierbar sind. Es kann sehr inter­es­sant sein, den Perspek­tiv­wechsel von beiden Seiten einzu­nehmen, der analogen Sicht­weise und der digi­talen, und dadurch neue Erkennt­nisse zu gewinnen. Dort fände ich es span­nend, mit Insti­tuten zusam­men­zu­ar­beiten, die sich mit 3D-Druck auseinandersetzen.

Hat die Gips­for­merei schon einmal mit einem Forschungs­pro­jekt in dieser Rich­tung gearbeitet?

Wir haben die Tech­niken mitein­ander verbunden, bei einer Achill-Figur von Tieck. Sie hat in unserer Samm­lung gefehlt, sie gab es jeweils aber noch einmal in Potsdam und Weimar. In Potsdam hat der Fuß mit der Achil­les­ferse gefehlt und der Speer; der Weimarer war voll­ständig, aber die Ober­flä­chen­güte war schlechter, weil er über­stri­chen worden war. Also sind wir mit der TU nach Weimar gefahren, haben dort die Ferse und die anderen fehlenden Elemente einge­scannt, das Teil aus Potsdam normal abge­formt und am Ende beide mitein­ander kombi­niert. Die komplette Figur war dann auch besser als die Väter.

Laokoon, Gips­for­merei Berlin

War das Zusam­men­fügen ein digi­taler Vorgang oder ein händischer?

Beides. Die nächste Stufe ist ja noch weiter zu gehen und dieses analoge Wissen gleich in den digi­talen Prozess mit zu implementieren.

Wie kann das laufen?

Zum Beispiel so, dass jemand analog etwas abformt, das Kern­stück in verschie­denen kleinen Teilen herstellt und sich jede einzelne Fläche einzeln anschaut, ihre Struktur und Bege­ben­heit analy­siert. Dann schaut er, mit welcher analogen Technik man das beste Ergebnis bekommt. Beim Digi­talen ist das anders: da scannt man erst und der Rechner baut ein Modell zusammen. Aus unserer Sicht müsste mann dann gleich ein digi­tales Modell entwi­ckeln und jedes einzelnen Teils und fügt die einzelnen Bauteile danach zusammen.

Also den Scan anzu­passen an den mensch­li­chen Blick?

Genau.

Das ist sehr span­nend, vor allem um zu schauen, was die Technik im Finish hergibt, um die mensch­liche Patina einzuarbeiten.

Unsere Aufgabe ist ja, den Bestand zu pflegen und neue Kultur­güter zu erhalten. Aber das heißt ja nicht, dass wir nicht auch neue Dinge dazu­nehmen können, und gerade 3D-Druck kann für uns hier sehr inter­es­sant sein. Man kann diese Tech­no­logie z.B. auch zum Restau­rieren verwenden, etwa bei einer Form mit einem fehler­haften Stück. Dann kann man diese Figur durch das gedruckte Teil ergänzen. Das ist dann nicht nur Repro­duk­tion, sondern auch Restauration.

Abge­sehen von den histo­ri­schen Arbeiten und den Restau­ra­tionen: gibt es auch ein Geschäft mit neuen Formen? Oder ist so ein Fall wie der von Jeff Koons ein Einzelfall? 

Er wollte ja Sachen haben, die in unserem Bestand sind.

Er hat die nicht modifiziert?

Nein, nur ergänzt.

Es kam also noch nie vor, dass zum Beispiel ein Archi­tekt zur Gips­for­merei gekommen ist und neue Formen für Archi­tek­tur­ele­mente in der Ästhetik eines Wand­re­liefs wollte?

Nein, wir machen keine neue Sachen. Wir nehmen neue Sachen auf. Wir sind eine Muse­ums­ein­rich­tung, das heißt, wir versu­chen, die Dinge zu erhalten, die wir haben und auch möglichst origi­nal­ge­treu wieder­zu­geben. Wir machen auch keine Verklei­ne­rungen oder Vergrö­ße­rungen. Wir machen nur Origi­nal­größen, es sei denn, es sind histo­ri­sche Verklei­ne­rungen, die bereits im Bestand sind.

Aus welchen Ländern kommen eigent­lich die meisten Anfragen? Die Top 5? 

Das unter­scheidet sich von Jahr zu Jahr viel zu stark, um so eine Liste aufstellen zu können. China ja, Irak, Vene­zuela, Argen­ti­nien, Russ­land, Polen, Finn­land – eigent­lich aus allen Ländern. Wir sind auch immer wieder erstaunt, wie hoch unsere Bekannt­heit ist.

Wagen wir einen Ausblick: Wie sieht die Gips­for­merei in 10 Jahren aus?

Na ja, zunächst wünsche ich mir, dass wir weiter unsere Wurzeln pflegen, sie behalten und immer wieder reak­ti­vieren. Mein zweites Thema ist die Über­füh­rung der Gips­for­merei ins digi­tale Zeit­alter. Wir müssen unsere Chance nutzen, wir können an diesem Punkt tatsäch­lich inter­na­tional ein Vorreiter sein.

Bei Zukunft denkt man reflex­artig an die Jugend: Wie kommt die Gips­for­merei zu guten Mitar­bei­tern, zum Nachwuchs?

Wir haben keine Fluk­tua­tion, die Leute die hier sind, gehen nicht. Der mit unserer Arbeit nächst­ver­wandte Beruf ist der Stucka­teur. Die Stucka­teure lernen aber nicht mehr das, was hier beherrscht wird. Daher sind wir im Gespräch mit der Handels­kammer und einzelnen Stucka­teur­firmen. Wir wollen ein Netz­werk aufbauen oder anstoßen, indem diese Berufe wieder gut gelernt und trai­niert werden können. Wir wollen unser Wissen ja auch nicht verbergen.

Dieses Interview ist ein Auszug aus dem Buch:
Handmade in Germany. Manufactory 4.0.
Herausgeber: Katja Kleiss
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
Verlag: ARNOLDSCHE; Auflage: 1 (1. Juli 2019)
Sprache: Englisch, Deutsch
ISBN-10: 3897905418
ISBN-13: 978–3897905412
Webseite:
https://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/gipsformerei/home.html